Kundgebung am Krieger*innendenkmal – 75 Jahre Kapitulation des NS in Backnang

Am 8. Mai fand zusammen mit der Backnanger Initiative für Frieden und Abrüstung und dem Libertären Treffen Rems-Murr eine Gedenkveranstaltung für die Befreiung von Faschismus in Backnang statt.

Bereits beim Aufbauen gab es reges Interesse: ca. 8 Polizist*innen beobachten uns von mehreren Seiten, aber immer mit erweitertem Sicherheitsabstand von 20 Metern beim Aufbauen.

Zu Kundgebungsbeginn folgten dann auch etwa 40 erwünschte Teilnehmer*innen dem Aufruf zur Versammlung. Der überwiegende Teil trug Mundschutz oder nutze die Gunst der Stunde ganz legal schwarze Tücher vor Mund und Nase tragen zu dürfen. Zusätzlich wurden in der Vorbereitung Kreidemarkierungen auf dem Boden angebracht worden, um die Einhaltung des Sicherheitsabstands von zwei Metern zu verdeutlichen. In diesen Zeiten ist eine sichere Veranstaltung dieser Größe ein deutlicher Erfolg und beweist, dass Kundgebungen auch ohne die Teilnehmenden zu gefährden stattfinden können.

Das breite Themenspektrum des Tages umfasste Beiträge zum Thema Kirche, Historie, Kriege und einen aktuellen Bezug.

Ein Pfarrer im Ruhestand arbeitete in seinem Beitrag die Verbrechen der Kirche während des NS-Regimes auf und appellierte an die moralische Verantwortung der christlichen Kirchen. Er forderte Christ*innen weltweit dazu auf, endlich wieder die pazifistischen Wege des frühen Christentums zu gehen und sich klar gegen Kriege und Faschismus zu positionieren. Dies betreffe auch die jeweiligen Kirchenoberhäupter.

Ein Redebeitrag des Libertären Treffen befasste sich mit der Befreiungsgeschichte Backnangs. Es wurde an Menschen wie Fritz Munz gedacht, die maßgeblich an der Befreiung Backnangs beteiligt waren. An ihn erinnert heute noch der Fritz-Munz-Weg in der Nähe der Grabenstraße. Zusätzlich wurde gemahnt, das neue Rechte wie die AfD den Faschismus nicht erneut aufleben lassen dürfen.

In einer anekdotischen Rede der Friedensinitiative wurde mit der „Nachkriegszeit“ und dieser eurozentrischen Bezeichnung aufgeräumt, indem ein globaler Blick auf Konflikte und Krieg geworfen wurde, die nach 1945 global stattfanden und in jüngerer Zukunft durch die BRD mit Waffenlieferungen sogar gestützt wurden.

Abschließend wurde sich von Seiten des Libertären Treffens mit der Aktualität des 8. Mais auseinandergesetzt: Anlässe gibt es angesichts einer global erstarkenden Rechten sowie des Rechtsrucks genug. Behinderten-, Kranken-, und Geflüchtetenhass sind heute so salonfähig, dass die Krisen dieser Gruppen in der Pandemie kaum Beachtung finden. Sie werden quasi geopfert um möglichst schnell zum alten „Normalzustand“ zurückzufinden.

Anschließend zogen einige Teilnehmer*innen mit Schildern weiter um im Stadtgebiet die Backnager Bürger*innen durch Einzeldemonstration zu sensibilisieren. Eine „Pace“ Fahne verblieb als sichtbares Zeichen am Kundgebungsort hängen und ruft somit noch länger zum Gedenken an diesem Tag auf.

Leider ist abschließend noch anzumerken, dass am selben Ort, den wir für den Tag der Befreiung einnahmen, schon morgen wieder Esoteriker*innen, Evangelikale und Rechte Schulter an Schulter nutzen um ihre meschenlebenverachtende Propaganda, Verschwörungsmythen und Antisemitismus zu verbreiten. Wie auch im gesamten Land zeigt sich hier wie wenig antifaschistischer Grundkonsens in der Gesellschaft besteht.

 

Rede mit aktuellem Bezug von einer*m Aktivit*in des Libertäres Treffen:

Liebe Antifaschist*innen, liebe Gefährt*innen, liebe Passant*innen,
heute vor 75 Jahren endete der deutsche Faschismus der NS-Diktatur mit der Kapitulation Deutschlands. Ihr vorausgegangen war der 2. Weltkrieg mit über 100 Millionen Toten, ausgelöst von einer grausamen Diktatur. Dieser Befreiung möchten wir heute trotz der schwierigen Situation gedenken.
Doch es reicht nicht nur nach hinten zu schauen und zu gedenken. Denn die Befreiung vom Faschismus gab uns allen einen Auftrag: Nie wieder! Nie wieder Faschismus, Nie wieder Krieg! In einer Zeit in der Rechtspopulist*innen und Faschist*innen weltweit immer stärker werden und sogar an der Regierung sind, wird es immer wichtiger an jenen Auftrag zu erinnern. Ein Trump in den USA, ein Bolsonaro in Brasilien, ein Orban in Ungarn, eine AfD im Bundestag. Sie alle erinnern uns dran, dass wir nie wieder zulassen dürfen, dass sich der Faschismus wiederholt. Denn um es hier in aller Deutlichkeit nochmal zu sagen. Faschismus bedeutet Gewalt, Terror, Mord und Krieg.
Manchmal scheint es, als ob uns das in Deutschland nicht betreffe. Und auch wenn in der jetzigen Situation das Thema Corona dominiert, dürfen wir nicht vergessen wie real faschistische Gewalt ist. In Deutschland wurden seit 1990 über 200 Menschen von Nazis ermordet unter ihnen die Opfer des NSU, die Opfer letztes Jahr in Halle und dieses Jahr in Hanau. An 75 Jahre Befreiung zu erinnern, heißt auch allen Opfern des Naziterrors weltweit, nach Ende des Krieges zu gedenken.
Doch das Gift welches Rechte in unsere Gesellschaft bringen, wirkt schon viel früher. Es drückt sich aus in einem gesellschaftlichen Klima und in einer Politik, die viele Punkte der Rechten aufgreift, aus Angst Wähler*innen an sie zu verlieren. So sehen wir, wie die sogenannten „Asylgesetzte“ verschärft werden, Grundrechte abgebaut werden und Überwachung ausgeweitet wird.
Diese Politik hat fatale Auswirkungen! Während in der ganzen EU Grenzzäune wieder hochgezogen und Grenzübergänge geschlossen werden, während in Deutschland durch die Coronakrise hunderte Hotels leer stehen, sitzen auf Lesbos 20.000 Menschen im Lager Moria fest. Unter katastrophalen sanitären und medizinischen Bedingungen sind sie dem Coronavirus schutzlos ausgeliefert. Eine Ausbreitung des Virus im Lager hätte aller Wahrscheinlichkeit nach hunderte Tote zu Folge. Neben der Tatsache, dass im Mittelmeer jedes Jahr tausende Geflüchtete ertrinken, zeigt sich bei dem Thema Moria noch viel konkreter, wie menschenverachtend die sogenannte Asylpolitik des Friedensnobelpreisträgers EU ist. Hier voran geht die deutsche Regierung und nimmt eine lächerliche Zahl von 50 Geflüchteten auf.
Und wo wir schon bei Deutschland sind. Auch bei uns gibt es Lager, in welchen die Geflüchteten dicht auf dicht sitzen, ein Sicherheitsabstand also nicht möglich ist und die sanitären Bedingung ebenfalls sehr schlecht sind. In der Landeserstaufnahmestelle Ellwangen infizierte sich deshalb ein großer Teil der Geflüchteten mit COVID-19. Dies führte soweit, dass der interne Quarantänebereich aufgelöst wurde und für die Menschen, die nicht infiziert sind, somit gar kein Schutz mehr besteht.
Während das Hauptthema der Coronakrise die Wirtschaft ist, obwohl diese durch ihre Profitorientierung massiv mitverantwortlich dafür ist, dass es gerade so vielen Menschen schlecht geht, wird gerne vergessen wie stark benachteilige Menschengruppen unter Corona leiden.
Der Umgang mit der Risikogruppe der Vorerkrankten spricht in diesem Zusammenhang bereist Bände: sie leben seit Wochen in strikter Selbstquarantäne, wenn sie überhaupt auf Homeoffice umstellen konnten, Eine rechtliche Garantie gibt es nicht. Je nach Gefährdungsgrad müssen alle Alltagsgegenstände, die in den Haushalt kommen desinfiziert werden. Besonderen Zugang zu Desinfektionsmittel gibt es jedoch auch nicht, eben das, was es in den Drogerien und Apotheken gibt.
Und im Falle einer Erkrankung an Covid-19 werden Menschen mit Vorerkrankungen im Zweifel eh unter den Tisch geworfen. Das Stichwort ist Triage: die Leben retten, die die größte Überlebenschance haben. Es stellt sich die Frage, welchen Leben Wert zugemessen wird und wer die Plattform in der Öffentlichkeit hat um die eigenen Perspektiven zu verbreiten.
Um den Bogen zum historischen Anlass zu schlagen: Behinderten- und Krankenfeindlichkeit hatte auch bei den Nazis im 3.Reich eine traurige Tradition. Dies begann nicht erst bei Plakaten, die aufzeigen sollten wie viel eine behinderte Person in Pflege die „Volksgemeinschaft“ kostete und fand sein tiefstes Gesicht in der Vernichtungsaktion T4, die auch in Backnang einige Ofer fand, die wie auch im Rest des Landes verschleppt, misshandelt und ermordet wurden.
Gerade in diesen schweren Zeiten ist es wichtig, dass wir es nie wieder zulassen, dass sich Faschist*innen und ihr brandgefährliches Gedankengut in unserer Gesellschaft breit machen.
Aus gegeben Anlass sei daran erinnert, dass die Rechten die Coronakrise für ihre Agitation nutzen, um gegen alles zu hetzen was links, emanzipatorisch und antifaschistisch ist. Diesem Versuch, aus dem Leid von Menschen Kapital zu schlagen, werden wir uns mit aller Kraft und überall entgegenstellen, damit der Faschismus irgendwann ein für alle Mal überwunden ist.
Oder um es mit Sophie Scholl zu sagen: „Zerreißt den Mantel der Gleichgültigkeit, den Ihr um Euer Herz gelegt! Entscheidet Euch, ehe es zu spät ist!“

Rede mit historischem Bezug von einer*m Aktivist*in des Libertäres Treffen:

Liebe Antifaschist*innen, Gefährt*innen und Zuhörer*innen
Am 8. Mai 1945 wurde Deutschland offiziell vom Faschismus befreit. An diesem Tag vor 75 Jahren unterschrieb die Heeresleitung des NS-Regimes die Kapitulation vor den Alliierten Truppen und beendete damit die faschistische Herrschaft der NSDAP unter dem bereits toten Adolf Hitler.
Wenn wir also an die Befreiung vom Faschismus denken, denken wir an wichtige Männer wie Churchill oder Stalin die auf Frontseiten von Zeitungen abgebildet werden. Vielleicht denken wir auch an andere weltbekannte Männer und Frauen, wie Georg Elsner oder Sophie Scholl, die bereits Jahre vor der Endgültigen Kapitulation des deutschen Heeres gegen das Regime kämpften.
Woran wir allerdings nicht denken, ist, dass die Befreiung vom Faschismus nicht mit einer Unterschrift auf einem Blatt Papier geschah. Sie geschah schrittweise und langsam. Sie zog sich über einen gesamten Krieg, der rund um den Globus geführt wurde. Der schlussendlich in einzelnen kleinen Geschichten gipfelte, die jede Stadt zu erzählen hat.
Es liegt uns also nicht fern, die Geschichte Backnangs an diesen Tagen anzuschauen:
Ab Oktober 1944 wurden alle Männer, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht an der Front waren, dazu aufgerufen, sich im sogenannten Volkssturm zu organisieren. Dies geschah landesweit und sollte als letzte Verteidigungslinie im Krieg dienen. So geschah es auch in Backnang. Jedoch wurde in der Backnanger zweiten Volkssturmkompanie von Kompaniechef Richard Coppenrath, Eugen Wohlfahrt und Franz Hopfensitz eine Widerstandsgruppe organisiert, die sich zum Ziel setzte, die Stadt widerstandslos an die alliierten Truppen zu übergeben.
Die Erfüllung dieses Plans beginnt am 19. April 1945. Fritz Munz und Hermann Krimmer werden als Boten zu den, zu diesem Zeitpunkt im Lautertal befindlichen, amerikanischen Truppen geschickt. Sie sollen die Botschaft übermitteln, dass die Stadt Backnang nicht verteidigt wird und deshalb weitere Angriffe nicht notwendig sind.
Auf dem Weg zum amerikanischen Feldlager stirbt Munz durch eine Mine. Sein Begleiter Krimmer überlebt die Fahrt und überbringt die Nachricht. Daraufhin marschieren amerikanische Truppen in Backnang ein und liefern sich bis in die Morgenstunden des 21. Aprils Gefechte um die Brücken über die Murr, die schlussendlich teilweise der Wehrmacht zum Opfer fallen.
Und auch wenn diese Geschichte der Allgemeinheit der Bevölkerung unbekannt sein mag, sehen wir ihre Spuren noch heute in unserer Stadt. Es gibt zum Beispiel den Fritz-Munz-Weg, benannt nach demjenigen Fahrradboten, der auf dem Weg zum Stützpunkt der alliierten Truppen durch eine Mine starb.
Es ist wichtig auch an diese Geschichte zu erinnern. Nicht nur, weil sie ein Teil der Stadtgeschichte ist, sondern auch, weil sie beweisen, dass Kampf gegen den Faschismus bei Einzelnen anfängt.
Er ist damals wie heute nicht von oben herab diktiert und geschieht nicht von Beginn an durch ähnlich gewaltige Mächte wie die, die den Faschismus ausüben. Schlussendlich bedeutet ein unterschriebenes Stück Papier nämlich nicht mehr oder weniger, als jede einzelne Tat die im Widerstand gegen den Faschismus geschieht. Und jeder noch so kleine Widerstand kann Leben retten, Menschen beschützen und die Geschichte verändern. Dazu müssen wir keine Kanzeler*innen und Präsident*innen sein. Dazu reicht es wir zu sein und gegen Ungerechtigkeit aufzubegehren.
Auch wenn es in Deutschland keine faschistische Regierung mehr gibt, ist es unabdingbar gegen die modernen Kinder des NS-Regimes zu kämpfen. Seien das nun extrem rechte Netzwerke die feige Mordanschläge verüben oder Parteien wie die AfD, die in Parlamenten sitzt und Täter*innen verteidigt, Verbrechen von damals für nichtig erklärt und mit ähnlicher Rhetorik ähnliche Menschengruppen attackiert.
AfD-Fraktionsvorsitzender Alexander Gauland setzte bekanntermaßen die Zeit des NS Regimes mit einem Vogelschiss gleich, Bernd Höcke ruft offen auf Pegidaveranstaltungen zum Umsturz auf und die allgemeine Politik der AfD ist in einem Wort zusammenzufassen: menschenverachtend.
Währenddessen gründen sich auf Grillplätzen überall in der Republik rechte Terrorzellen, die Bundeswehr ist von einem extrem rechten Netzwerk unterlaufen, das Todeslisten führt und Leichensäcke hortet und die Zahl der Opfer rechter Mordanschläge hoch wie nie.
Das ist nicht, was sich für Deutschland vor 75 Jahren erhofft wurde. Darum gilt heute, 75 Jahre nach dem NS-Regime vielleicht dringender als jemals zuvor:
Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!
Wer schweigt schaut zu, lasst Faschisten nicht in ruh!