Über die Ausgangssperre in Baden-Württemberg und die fehlende linksradikale Antwort darauf
Diese Tage war ich des abends ein paar Schritte draußen einfach weil ich noch frische Luft brauchte. Das erste Mal seitdem Mitte Dezember eine kollektive Ausgangssperre für ganz Ba-Wü in Kraft trat – das erste Mal seit 1945. Es war schon ein komisches Gefühl so durch die Straßen zu laufen und um eine_n rum ist es totenstill. Wo normalerweise Autos fahren, Räder unterwegs sind, Menschen spazieren, ist nun nichts mehr los ab abends um 8. Vereinzelt hörte ich die Autos auf der Hauptstraße bevor sich wieder die Stille der Nacht herabsenkte.
Nach draußen? Nur noch mit triftigen Grund
Um eins vorweg ganz klar zu sagen, hier geht es nicht darum, sich mit irgendwelchen selbsternannten „Querdenkern“ oder anderen rechten Verschwörungsideolog_innen gemein zu machen, sondern um eine faktenbasierte Kritik an den herrschenden Verhältnissen.
Seit Mitte Dezember ist das Verlassen des Hauses nur noch „mit einem triftigen Grund“ erlaubt, während tagsüber dazu auch Besuche bei Freund_innen oder Sport zählen, darf mensch nachts nur noch zur Arbeit oder in medizinischen und anderen Notfällen raus. Dies bedeutet, es richtet sich bereits die Tagesplanung von Menschen danach aus „ob ich es schaffe vor 8 wieder zu Hause zu sein“.
An einer Ampel blieb ich stehen. Das erste Auto diesen Abend erreichte mein Blickfeld. Ein kurzer Moment des Schrecks – ist es eine Bull_innenkarre, dann doch die Entwarnung. Ein Gefühl der Ohnmacht machte sich breit, denn auch wenn es mir sonst als Anarchistin absolut nichts ausmacht Regeln und Gesetze zu übertreten und zu brechen, war es hier anders. Es war die Tatsache einzig durch das Verlassen das Hauses gegen Gesetze zu verstoßen und potentiell mit Repression rechnen zu müssen, überstieg mein Erfahrungshorizont aus meiner bisherigen politischen Arbeit.
Medizinisch notwendig oder reine Schikane?
Ein wichtiger Aspekt bei allen Maßnahmen zur Coronapandemie sollte die medizinische Notwendigkeit sein. Auch wenn schon die letzten Monate klar wurde, dass die Arbeit im kapitalistischen System natürlich wichtiger ist als die Gesundheit der Menschen, ist die neue Ausgangssperre noch viel mehr. Es ist eine reine Machtdemonstration, also ein Maßnahme „because we can“ welche nicht nur auf der eine Seite lediglich den privaten Bereich betrifft und die Wirtschaft verschont, sondern auf der Seite mindestens genauso wirkungslos ist. Denn wo liegt das höhere Risiko, wenn ich abends um 10 nach Hause fahre anstatt schon um 7? An dieser Stelle wird das Argument kommen, dass sich nicht so viele Leute abends zum Feiern treffen. Doch wo stecken sich die meisten Arbeiter_innen an? In überfüllten Prodkutionsstätten, schlecht gelüfteten Büros oder dem überfüllten ÖPNV, da sie trotz Pandemie und vieler Einschränkungen im Privaten weiterhin arbeiten müssen. Hygienevorschriften sind doch nur eine weitere Bremse am Rad des Kapitalismus welche den Profit schmälert. Hier zeigt sich auch klar, dass die Politik mal wieder versagt. Anstatt medizinisch sinnvoll Entscheidungen zu treffen, die im Zweifel halt auch der Wirtschaft wehtun, wird die Verantwortung mal wieder (siehe Klimakrise etc.) auf die Einzelne abgewälzt und Macht demonstriert. Es ist eine weitere Form von Herrschaft, welche mich noch weiter einzwängt im Gefängnis Namens Kapitalismus.
Ausgangssperren sind Mittel von Diktaturen und Autokratien zur Unterdrückung und Überwachung der Bevölkerung und zur Verhinderung von Widerstand. Sie wurden seit 1945 nicht mehr eingesetzt und reihnen sich ein in Verschärfung der Polizeigesetze, Rechtsruck, etc.
So langsam kam ich wieder in die Nähe meiner Wohnung. Mein Kopf war voll mit Gedanken, mit Ausreden falls ein_e Nachbar_in doch fragen sollte wo ich war. Doch ein Gedanke verdrängte die anderen immer stärker, es war die Wut auf diesen Staat und dieses System, welches Menschen in Lager sperrt oder sie direkt im Mittelmeer sterben lässt, ein System in welchem Profite vor Wohnraum zählen, ein System welches mich trotz Pandemie weiter arbeiten schickt aber mich aber sonst zu Hause einsperrt.
Doch geht es nur mir so? Müssten nicht die Wut bei vielen steigen?
Differenziertheit?
Was sind die richtigen Antworten auf die Krise? Das scheinen die größten Probleme der radikalen Linken zu sein. Denn anders als Rechte und Verschwörungsideolog_innen versteht sie ja, dass viele Maßnahmen wie Abstand halten oder Maske tragen sinnvoll sind. Häufig wird dann mit einer pauschalen Kapitalismuskritik geantwortet ohne weiterzudenken dass es auch in einer befreiten Gesellschaft zu Pandemien kommen kann. Denn der Kapitalismus ist nur ein Problem. Das andere ist Macht und Herrschaft an sich. Viele Maßnahmen, insbesondere die Ausgangssperre, entspringen einer Herrschaftslogik, nämlich das einige wenige über alle anderen und für alle anderen entscheiden müssten. Diese Logik funktioniert auch nur im Kontext von Arbeit im kapitalistischen System, denn so hätten ja Arbeiter_innen gar keine Kapazitäten politisch mitzuentscheiden. Dieser Herrschaft kann nur mit einer radikal linken Position gegenübergetreten werden. Lasst uns die Säulen dieser Macht stürzen und eine selbstbestimmte und befreite Gesellschaft aufbauen. Lasst uns hier uns jetzt damit beginnen. Gerade die Krise zeigt wie wichtig solidarisches Handeln im eigenen Umfeld und der Nachbar_innenschaft ist.
Smash patrichary and the state!
Als ich dann nach Hause kam senkte sich das Gefühl von Ohnmacht so langsam, doch es wich nicht vollständig, denn es fehlte der Empowernde Moment. Bei viele Protesten, sei es massenhafter ziviler Ungehorsam wie bei EndeGelände und bei Waldbesetzungen oder dass die Bull_innen für ein paar Stunden aus dem Viertel vertrieben waren wie bei G20, gibt es ein kollektives Gefühl welches der Ohmacht gegenüber dem Staat einen emanzipatorischen und befreiten Gedanken entgegensetzt. Frei nach dem Motto: „unsere Baumhäuser könnt ihr zerstören, aber nicht die Träume die sie bauten“.
Clara Sache
Anmerkung: der Text thematisiert konkrete die Ausgangssperre aus individueller Sicht und hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Veröffentlicht von:
Libertäres Bündnis Ludwigsburg (lbquadrat.org)
Libertäres Treffen Rems-Murr (libertaerestreffen.noblogs.org)