Immer noch Lager im RMK – Wohnraum für alle!

Nach offiziellen Angaben fehlen im Rems-Murr-Kreis über 5.000 bezahlbare Wohnungen. Wie viele Wohnungen leer stehen, weiß niemand. In Schorndorf ist nach Angaben der Stadtplanerin Sarah Mattes der Leerstand „sehr hoch“. Allein die Zahl der komplett leerstehenden Häuser soll dort im 3-stelligen Bereich liegen. Der Waiblinger Oberbürgermeister Hesky hält dagegen die Erfassung von Leerstand für „Schnüffelei“ (ZVW, 25.11.19). Tausende müssen in Lagern leben: Menschen, die obdachlos gemacht wurden, oder Menschen, die vor Krieg, Verfolgung oder Armut geflohen sind und hier noch nie eine Wohnung hatten.

Dieser Bericht basiert auf einer Rundreise durch den Kreis im Februar 2020 und Gesprächen mit Menschen in den Lagern. Der Schwerpunkt liegt auf Containerlagern und Lagern in der Verantwortung des Landkreises.

LEA – GU – AU

Geflüchtete müssen zunächst in Landeslagern (“Landeserstaufnahmeeinrichtung”, kurz LEA) leben. Meist nach einigen Monaten werden sie auf die Landkreise in Kreislager (“Gemeinschaftsunterkunft”, GU) verteilt. Spätestens nach zwei Jahre werden Geflüchtete dann Gemeinden zugewiesen, in die “Anschlussunterbringung” (AU). In den Gemeinden sollten sie eigentlich Wohnungen bekommen, viele müssen aber weiterhin in Lagern leben. In manchen Orten haben die Gemeinden die Lager vom Kreis übernommen, und aus einer GU wurde durch Austausch des Schildes am Eingang eine AU. Mit dieser Maßnahme wurde vielen Geflüchteten die Hoffnung genommen, das Lager nach zwei Jahren verlassen zu können. Wir haben Menschen getroffen, die seit 2015 im gleichen Containerlager leben müssen.

Notunterkünfte

Neben den Lagern für geflüchtete Menschen gibt es noch Lager für Menschen, die in der jeweiligen Gemeinde eine Wohnung hatten. “Not-” oder “Obdachlosenunterkunft” werden diese angeblich nur für die kurzfristige Überbrückung gedachten Lager genannt. Tatsächlich sind diese Lager zu Dauereinrichtungen geworden. Uns wurde von Schwerkranken berichtet, die dort bis zu ihrem Tod bleiben mussten. Damit in den christlich geprägten Gemeinden bei den sonntäglichen Predigten von der Nächstenliebe ja keine Irritationen entstehen, wurden solche Elendsquartiere meist weit weg von der Kirche in einem Randgebiet eingerichtet.

Integration

Inzwischen vermischen sich die Grenzen zwischen AU für Geflüchtete und “Notunterkunft” für Wohnungslose. Geflüchtete werden in “Notunterkünfte” und Wohnungslose aus der Gemeinde in AU-Lager eingewiesen. In Leutenbach sieht die entsprechende Satzung gemeinsame Unterkünfte vor. In Weinstadt-Großheppach ist das Lager in mehrere Blöcke unterteilt: Eine heruntergekommene Baracke als AU, Uralt-Container als Notunterkunft und neuere Container als GU.

In Murrhardt wohnt seit kurzer Zeit mindestens ein Geflüchteter im schon lange bestehenden Obdachlosen-Lager, in der AU Murrhardt lebt eine ältere Frau, die eine Wohnung in Murrhardt hatte. Auch eine Form der Integration.

Containerlager

Zum Teil mehrere Containerlager gibt es immer noch zumindest in Allmersbach, Aspach, Backnang, Leutenbach, Murrhardt, Schwaikheim, Waiblingen und Weinstadt (Großheppach und Endersbach). Wir haben 620 Container in 10 Lagern gezählt. Gemeinsame Küchen- und Sanitärcontainer und in jedem Container zwei Menschen, Container mit einer Fläche von 12 bis 13 qm – das sind die typischen Merkmale von Containerlagern.

Leutenbach

Das mit Abstand größte Lager ist die “Kärcher Futuretech Wohnanlage” in Leutenbach mit 152 Containern (einschließlich Küchen, Sanitär und Büros). In einem Wohncontainer befinden sich in der Regel drei Betten. Zur Zeit sind nicht alle Betten belegt. Die direkt am Lager vorbeiführende B14 auf der einen Seite und die Kreisstraße 1898 auf der anderen sorgen permanent für einen hohen Lärmpegel. Das Lager ist in zwei Blöcke aufgeteilt. Ein Block wird als GU vom Landkreis betrieben. Der andere Block dient der Gemeinde Leutenbach als “Notunterkunft” für “Obdachlose und Flüchtlinge”.

Murrhardt

Das kleinste Lager mit 10 Containern betreibt die Stadt Murrhardt abgelegen am Rande eines Industriegebiet. Zur Zeit unseres Besuchs lebten in den angeblich zur vorübergehenden Unterbringung gedachten Containern sieben Menschen, eine Frau – so wurde uns berichtet – schon seit 15 Jahren, ein Mann seit zwei Jahren. Mehrere Menschen sollen in dem Lager verstorben sein. Alle Container haben nur eine Tür nach draußen, auch die separaten Sanitär-Container. Der Weg zur Toilette kann bitterkalt sein. Vor schwachem Regen schützt immerhin ein offenes Dach. Bei starkem Regen schießt das Wasser von den Containerdächern in den überdachten Bereich. Fernsehempfang ist nicht möglich, weder über Satellit noch über Internet. Eine in Eigeninitiative angebrachte Satellitenschüssel vor einem der Container wird anscheinend geduldet. Eine Küche gibt es nicht. Warmes Essen ist nicht vorgesehen. Die Bewohner*innen müssen sich selbst behelfen. In den Jahren 2012 und 2017 haben Container gebrannt.

Das zweite Container-Lager der Stadt Murrhardt (AU, vorher GU) bietet angesichts dieser Situation einige Vorzüge: Stadtnähe, Fernsehempfang, Küche, Toilette und Dusche innerhalb des Containerblocks. In diesem Lager lebt außer geflüchteten Menschen auch eine in Murrhardt aus ihrer Wohnung vertriebene Frau im fortgeschrittenen Rentenalter. Von Plänen der Stadt Murrhardt die Lager zusammenzulegen, ist allerdings nichts bekannt.

Keine Privatsphäre

Wer mit mindestens einem von der Lagerleitung zugewiesenen Menschen in einem Container zusammenleben muss, hat nicht die geringste Privatsphäre. Rückzug ist nicht möglich. Auch einen ruhigen Platz etwa zum Lernen gibt es nicht. Die Dusche ist oft nicht abschließbar. In einer GU gibt es keine persönlichen Briefkästen, persönliche Post muss man sich bei der Lagerleitung abholen.

Verletzlichkeit der Wohnung

Wie andere Gemeinden auch behält Leutenbach Wohnungs-, bzw. Zimmerschlüssel für ihre Unterkünfte, damit sie die Wohnräume “in angemessenen Abständen und nach rechtzeitiger Ankündigung werktags in der Zeit von 6.00 Uhr bis 22.00 Uhr” betreten kann. Bei Gefahr in Verzug kann ein Beauftragter der Gemeinde (nicht etwa nur die Polizei) den Wohnraum jederzeit betreten. So festgelegt in der entsprechenden Satzung der Gemeinde.

Die Hausordnung für die GU-Lager des Rems-Murr-Kreises geht noch weiter: “Die Bewohner müssen den Mitarbeitern/-innen der Verwaltung jederzeit nach Aufforderung und ebenso zu vorab vereinbarten Zeitpunkten den Zutritt zu den Wohnräumen ermöglichen.” Auch ohne die Anwesenheit der Bewohner*innen darf die Lagerleitung die “Unterkunftsräume jederzeit öffnen und betreten”, etwa um “die Anwesenheit unbefugter Personen zu überprüfen”.

Im Integrationskurs werden Menschen in dieser rechtlosen Situation nicht einmal mehr müde lächeln, wenn sie dort lernen sollen, dass die Unverletzlichkeit der Wohnung ein Menschenrecht ist.

Kontrolle und Registrierung von Besucher*innen

Der Besuch von Menschen in den Lagern ist nicht ohne weiteres möglich. In einigen Lagern mussten wir uns ausweisen. Unsere Anwesenheitszeiten wurden genauestens in Listen eingetragen, ganz wie bei den LEA-Lagern. Es gibt auch Lager mit festgelegten Besuchszeiten – wie bei Gefängnissen. Viele Lager sind mit einem Zaun umgeben. Das Lager in Allmersbach ist sogar videoüberwacht.

Security-Leute trafen wir ausschließlich in GU-Lagern, aber auch dort nicht in allen. Die Gemeinde-Lager waren frei zugänglich. Die Behauptung, die Überwachungsmaßnahmen, dienten dem Schutz der Bewohner vor rassistischen Anschlägen, ist nicht glaubwürdig. Rassisten machen keinen Unterschied zwischen GU und AU. Am stärksten waren die “Sicherheitsmaßnahmen” in Waiblingen: geschlossener Zaun und streng kontrollierter Zugang, Begleitung durch einen Security-Mitarbeiter beim Gang durch das Lager.

Laut Hausordnung für die GU-Lager ist Besuch nur von 8 bis 20 Uhr erlaubt. Besucher*innen müssen sich jederzeit ausweisen können. Übernachtungen von Freund*innen oder nicht verheirateten Partner*innen sind nicht erlaubt. Übernachtungen von Ehegatten und Kindern können genehmigt werden. Für die Übernachtung muss bezahlt werden. Winnenden legt in der „Satzung über die Benutzung von Flüchtlingsunterkünften“ sogar für die AU-Lager Besuchszeiten fest. Diese Stadt nimmt sich auch das Recht heraus, Besucher*innen jederzeit raus werfen zu dürfen.

Isolation und Verletzung gesetzlicher Standards

Laut Gesetz sollen die GU-Lager “aufgrund ihrer Lage und Beschaffenheit geeignet sein, den Bewohnerinnen und Bewohnern die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen” (§8,1 FlüAG). Viele GU-Lager liegen abseits in einem Industriegebiet, isoliert von der Wohnbevölkerung des Ortes. Das Lager in Kirchberg etwa ist fußläufig 40 Minuten vom nächsten Supermarkt entfernt. Zur S-Bahn ist es dagegen nicht weit. Viele Lager sind gut an den ÖPNV angebunden. Doch das Budget der Lagerbewohner*innen reicht nicht für regelmäßige Fahrten.

Seit 2018 hat jede Person in einer GU Anspruch auf eine Wohnfläche von 7 qm. Davor waren es nur 4,5 qm. Die Tierschutz-Hundeverordnung fordert 10 qm für einen deutschen Schäferhund.

Doch selbst die 7 qm werden schon bei einer Doppelbelegung eines Containers nicht erreicht, die meisten Container haben eher 12 als 14 qm. Aber auch in Gebäuden mit genug Platz, werden die gesetzlichen Vorgaben nicht eingehalten: Wir haben eine Familie mit zwei kleinen Kindern angetroffen, die in einem Zimmer mit 14 qm leben muss.

Mietwucher

Wenn Geflüchtete ein eigenes Einkommen haben, müssen sie laut Gebührenrechtsverordnung des RMK in einem GU-Lager 294 bis 334 Euro für ein Schlafstelle bezahlen. Die oben erwähnte vierköpfige Familie müsste für ihr 14-qm-Zimmer 750 Euro bezahlen. Das wären mehr als 50 Euro pro Quadratmeter. Das wäre noch günstig: Für das Baby würde nichts berechnet und für das zweijährige Kind nur 150 Euro. Als noch die Norm von 4,5 qm galt, waren pro Quadratmeter über 65 Euro zu erzielen. In einer AU der Stadt Winnenden müssen 285 Euro bezahlt werden. Ist das Mietwucher? Natürlich nicht! Die Geflüchteten bezahlen nämlich gar keine Miete, sondern eine Gebühr.

Ein Schnäppchen ist dagegen ein Platz im AU-Lager Schwaikheim. Die Gemeinde berechnet 71,39 Euro Gebühr und fordert 50 Euro pauschal für die Nebenkosten. Auch in Aspach ist die Gebühr vergleichsweise niedrig. Dort gilt zumindest auf dem Papier: „Die Benutzungsgebühren werden auf Basis der Vorgaben des Backnanger Mietspiegels ermittelt.“ Ein Quadratmeter im Container wäre demnach für 5,70 Euro netto zu haben.

No Lager – Leerstand enteignen – Wohnraum für alle

Wir haben Verständnis dafür, dass 2015, als sehr schnell für viele Menschen Unterkünfte bereitgestellt werden mussten, auch auf Container zurückgegriffen wurde. Inzwischen sind aber fast fünf Jahre vergangen. Mit gutem politischen Willen könnten heute alle Menschen in Wohnungen leben. Einige Gemeinden haben sich auch engagiert. Wenn aber der Erste Bürgermeister der Stadt Backnang, Siegfried Janocha, schon im Oktober letzten Jahres behauptete „Im Bereich Asylbewerber haben wir derzeit kein Problem mit der Unterbringung” (BKZ, 26.10.19), so zeigt das, dass er nicht die geringste Absicht hat, allen Menschen in Backnang zu angemessenem Wohnraum zu verhelfen.

Der Oberbürgermeister von Waiblingen, Andreas Hesky, will nicht einmal daran denken, Leerstand zu verbieten, denn „Die Umsetzung des Zweckentfremdungsverbots wäre geeignet, das Klima in der Stadt zu beeinflussen, da dies als ,Enteignung’ empfunden werden kann“. Hesky befürchtet den Eingriff in Eigentumsrechte (ZVW, 25.11.19). Für ihn ist das Eigentum unantastbar, und nicht – wie es das Grundgesetz im Artikel 1 fordert – die Menschenwürde. Auch der Artikel 14 des Grundgesetzes („Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“) interessiert ihn einen Scheißdreck. Von solchen Politikern können wir nichts Gutes erwarten.

Wir müssen öffentlichen Druck erzeugen. Wir akzeptieren nicht die Ausrede, es gäbe nicht genug Wohnungen. Als ob dafür nicht genau die Politiker verantwortlich wären, die zu diesen Ausflüchten greifen. Natürlich muss mehr in den sozialen Wohnungsbau investiert werden. Aber auch vorhandener Wohnraum wird nicht genutzt. Sehr viele Häuser und Wohnungen stehen leer oder werden anderweitig ihrem Zweck, dem Wohnen, entzogen.

Die Lager können und müssen aufgelöst werden. Wir fordern im ganzen Rems-Murr-Kreis ein Zweckentfremdungsverbot für Wohnraum, die Enteignung von Leerstand und menschenwürdigen Wohnraum für alle!